Warum Menschen handeln und warum nicht.
Der Jahreswechsel löste bei vielen von uns fast reflexartig
die Frage nach den guten Vorsätzen aus. Von einigen Gesprächspartnern war zu
hören, dass der einzige gute Vorsatz sei, gar keine guten Vorsätze mehr zu
machen – hätte ja doch nie geklappt.
Dieses jährlich wiederkehrende
Standardthema führte mich zur philosophischen Frage „Warum handeln Menschen?
Was sind ihre Gründe, wenn sie nicht handeln?
In der Philosophie – eine Wissenschaft der Reflexion – beginnt jede Überlegung mit einer Klärung der Begriffe:
Handeln wollen wir definieren als zielgerichtete,
freiwillige Aktivität eines Subjekts, das mit Hilfe adäquater Mittel seine
derzeitige Situation in der Zukunft verbessern will. Als Coach reagiere ich
sofort auf die Worte Ziel, freiwillig, Mittel, Zukunft,
verbessern.
Ziele – konkret formuliert – können
Leuchttürme im Leben sein oder auch nur eine gedankliche Absichtserklärung
bleiben.
Mittel sind meine
vorhandenen oder erforderlichen Ressourcen, um mein Ziel erreichen zu können.
Oh, machen wir hier nicht schon ein Hindernis ausfindig?
Zukunft und verbessern –
wer will das nicht? Und hätten wir die anvisierte Verbesserung schon erreicht,
dann wäre handeln ja bereits sinnlos geworden.
Freiwillig? Hier wird es schon schwieriger:
Handeln aus Zwang kennt jeder von uns; denken Sie an gesellschaftliche,
berufliche, familiäre Anforderungen, denen wir folgen „müssen“, sei es aus
Angst vor dem Imageverlust, dem Karriereknick oder dem Konfliktpotential. Es
mag sogar so sein, dass wir häufiger in diesem Sinne unfreiwillig handeln als
uns bewusst ist.
Auch
wenn in der Determinismus-Debatte um diese Willensfreiheit innerhalb der Wissenschaften heftig
diskutiert wird, wollen wir für unsere Überlegung davon ausgehen, dass unseren
Handlungen ein freier Wille vorausgeht. … Und eine Entscheidung zu
handeln oder nicht zu handeln.
Jeder weiß, Entscheidungen zu treffen ist nicht
immer einfach. Erstens muss man vorher einiges Bedenken, also Denken. Zweitens
muss man Argumente und Gegenargumente sammeln, bewerten und eventuelle Folgen
abwägen, also Weiter-Denken. Oft kommt Zeitdruck hinzu.
Aber
letztendlich ist eine Entscheidung eine Wahl, ich muss aus allen Möglichkeiten
eine auswählen und die anderen abwählen. D.h. aber auch, es muss eine Auswahl
an Möglichkeiten geben, um im
Wahlakt meine Wahlfreiheit ausüben zu können. Also braucht Handeln Willensfreiheit und Wahlfreiheit.
Schon wieder Freiheit und
wo bleiben die Gründe fürs Handeln?
Nun ja, hier wird es
schwieriger, weil eine Entscheidung, eine Wahl nach subjektiver Bewertung der
Möglichkeiten von einem Individuum getroffen wird. Diese Wahl basiert auf keiner
objektiven, sondern auf einer subjektiven
Wertsetzung des Individuums in einer bestimmten Situation zu einem
bestimmten Zeitpunkt. Es könnte also auch sein – und das kennen wir alle – dass
die Entscheidung in veränderter Situation oder zu einem anderen Zeitpunkt auch
anders ausfällt. Der österreichische Ökonom und Sozialphilosoph Ludwig von Mises hat es so formuliert:
„Werturteile sind irrational und subjektiv, man kann sie loben oder tadeln,
billigen oder missbilligen, doch man kann sie nicht als wahr oder unwahr
bezeichnen.“ (Mises 1940: 53).
Damit wird es aus wissenschaftlicher Sicht unmöglich, allgemeingültige
Gründe für das menschliche Handeln zu benennen. Ich höre Ihren Einwand: Aber es
gibt psychologische Modelle, beispielsweise die Bedürfnishierarchien nach
Abraham Maslow, oder ökonomisch fundierte Rational Choice Theory (Theorien
der rationalen Wahl) mit dem Ideal
des homo oeconomicus. Diese Modelle basieren jedoch auf empirischen Versuchsanordnungen
im Labor und erfassen nicht die Komplexität des realen Lebens. Hinzu kommt,
wenn wir kurz einen Blick auf die Maslowsche Motivationshierachien werfen, die
starke Normierung der menschlichen Gründe.
„Die letzten Entscheidungen, die Wertungen und Zielsetzungen,
liegen jenseits des Bereichs der Wissenschaft. Die Wissenschaft sagt nicht, wie
man handeln soll; sie zeigt nur, wie man handeln müsste, wenn man Ziele, die
man sich gesetzt hat, erreichen will.“ (Mises 1940:8).
Also keine wissenschaftliche Begründung für das menschliche
Handeln?
Ludwig von Mises legte in seiner
„Letztbegründung der Ökonomik“
mit
der Praxeologie menschliches Handeln bis
auf dessen Grundstruktur eines allgemeinen Handelns frei: Unabhängig von wirtschaftlichem
Kontext, Bedürfniskategorien oder psychologischen Motivationen kommt er zu dem
Ergebnis, dass Handeln nur den Zweck
hat, subjektives Unbefriedigtsein durch individuelles Handeln in einen Zustand
mit geringerem Unbefriedigtsein zu verändern.
Kurz gesagt: Neujahrsvorsätze bleiben solange
Absichtserklärungen bis der Leidensdruck zu einer Veränderung durch
zielgerichtetes Handeln motiviert.
Literatur:
Birgit
Recki: Freiheit. Grundbegriffe der europäischen Geistesgeschichte. Hg. v.
Konrad Paul Liessmann. Wien: facultas.wuv 2009.
Ludwig
von Mises: Nationalökonomie. Theorie des Handelns und Wirtschaftens. Genf:
Edition Union Genf 1940.
Rahim
Taghizadegan: Alles, was Sie über die Österreichische Schule der
Nationalökonomie wissen müssen. FinanzBuchVerlag 2017.
Ludwig von Mises: Die Letztbegründung der Ökonomik.
Mises.at 2016.